Die Chroniken von Erdsee (Anime Kritik): Es hätte so schön werden können (2024)

Die Erdsee – dieses literarische Großreich der ungezählten Inseln, das seit den 60er Jahren eine feste Größe im Pool der Fantasy-Welten ist. Bereits 2004 hat der Sci-Fi-Channel den Stoff in eine zweiteilige Mini-Serie umgewandelt und dabei scharfe Kritik seitens den Fans geerntet, weil man sich zu sehr von der Vorlage entfernt habe. Selbst die Erdsee-Schöpferin Ursula K. Le Guin meinte, sie wisse nicht, wovon der Film handle. Zwei Jahre später nahm sich das renommierte japanische Animations-Studio Ghibli dieser Aufgabe an und man durfte großes erwarten. Doch was wurde draus? Nichts, womit man angeben könnte, denn Die Chroniken von Erdsee hat letztendlich nur die japanische Version der Goldenen Himbeere abgesahnt.

Die Felder werden von Dürren heimgesucht, die Menschen erleiden Krankheiten, das Vieh stirbt, Magier vergessen die Magie und Drachen tauchen auf – die Welt gerät zusehends aus dem Gleichgewicht und die Kräfte der Dunkelheit nehmen zu. Erzmagier Ged versucht die Ursache all dessen herauszufinden und durchstreift die Ländereien von Erdsee. Unterwegs trifft er auf den abtrünnigen Prinzen und Königsmörder Arren, der von einem Schatten verfolgt wird. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Lord Cob, der offenbar das Tor zwischen den Lebenden und Toten geöffnet hat und dadurch die Welt langsam aber sicher in den Tod stürzt.

Sohn, mach du mal

Die Chroniken von Erdsee (Anime Kritik): Es hätte so schön werden können (4)
OriginaltitelGedo Senki
Jahr2006
Laufzeit115 Minuten
GenreFantasy
RegieGoro Miyazaki
StudioStudio Ghibli

Bereits 1980 zeigte der japanische Animations-Großmeister Hayao Miyazaki Interesse an der Verfilmung des Erdsee-Stoffes von Ursula K. Le Guin. Da aber für die Autorin das Genre „Zeichentrick“ gleichbedeutend für „Disney“ stand, lehnte sie Miyazakis Anfrage ab. Erst als sie Mein Nachbar Totoro gesehen hatte, wurde ihr bewusst, dass auch andere Formen von Zeichentrick-Ästhetik möglich sind, und sie nahm den Kontakt zu Miyazakis Studio Ghibli wieder auf. Leider leider war der Großmeister zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage sich um Ursula zu kümmern (da er an Das Wandelnde Schloss arbeitete), sodass die Umsetzung dem Sohnemann Goro Myazaki zufiel – zum Leidwesen aller, könnte man sagen. Selbst sein Vater Hayao war, aufgrund Goros mangelnder Erfahrung, gegen diese Besetzung. Ein Umstand, der einen Zwist herbei rief, sodass Vater und Sohn während der gesamten Produktion kein Wort mehr miteinander sprachen. Arme Ursula.

Goros Erstlingswerk

Studio Ghibli hat es mit seinen visuell spektakulären Filmen wie Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland und Das Wandelnde Schloss zu einer festen internationalen Größe geschafft. Wenn Studio Ghibli Filme herausbringt, dann gibt es nur einen Standard: einen atemberaubenden. Doch das ist freilich nur eine Seite Films, die andere ist die Handlung, und hier bröckelt Die Chroniken von Erdsee. Der Film basiert eigentlich auf dem dritten Band des Erdsee-Zyklus Das Ferne Ufer, vereint aber auch unzählige Motive aus den anderen Büchern, die scheinbar versuchsweise aneinander gepappt wurden, sodass der Film als Ganzes unvollendet anmutet. Die Dialoge enden ohne zufriedenstellenden Abschluss und sehr häufig handeln sie nur von der Vergangenheit – von Dingen, die man miteinander erlebt hat. Die Tiefe der Welt versucht Goro also erzählend zu erreichen, da er die Themen aber immer nur halbgar anschneidet, geht das ordentlich schief und man kann als Zuseher nur rätselraten, was von dem Angesprochenen nun relevant für die Geschichte ist. Und anstatt die Tiefe der Welt wenigstens visuell zu zeigen, wird die Gesellschaft von Erdsee zugunsten von Drachen- und Schwertkämpfen und ewigen Laufpassagen der Helden übersehen, sodass die Charaktere ohne Grip wortwörtlich am Zuseher vorbei rennen. Goro Miyazaki verpasst es, seine Figuren zu erforschen und an das Publikum heran zu tragen.

Die Meinung eines Buchfans – SPOILER

Ich nutze diesen Beitrag um meinem Unmut über dieses willkürliche Herauspicken von Erdsee-Elementen und die Veränderungen dieser Luft zu machen. Zu allererst einmal Lord Cob: Er verkommt zu einem 08/15-Bösewicht, der sich ein Schloss baut, Handlanger um sich schart, die Helden via magischen Suppenteller beobachtet und Tenar kidnappt, damit er den Helden in die Falle locken kann. Das wirkt furchtbar schal und einfallslos und kennt man so aus jedem Groschenroman. Auch stimmt’s nicht, dass Cob die Unsterblichkeit erst noch erlangen will, denn eigentlich besitzt er sie bereits und zieht erst auf diese Weise die Welt in ihr Verderben. Dann Tenar: Die dürfte ja gar nicht vorkommen und wohnt nebenbei auch ganz woanders. Schließlich unser Protagonist Arren: Das Problem mit dem Schatten hat er nie gehabt, denn das ist eigentlich Geds Hürde in Ein Magier von Erdsee gewesen als dieser jung war. Und die Sache mit dem Vater- und Königsmord ist eine nicht unerhebliche Veränderung von Arrens Figur. Das Inselreich selbst scheint nur aus einer Insel zu bestehen, denn Hort, Enland, Cobs Sitz und Tenars Hütte sind zu Fuß erreichbar. Und die geistige Seuche, die im Buch das Main-Problem darstellt? Die wird nur kurz angedeutet. Die eigentliche Tragweite kommt überhaupt nicht zur Geltung, denn nicht nur die Magier verlieren ihre Macht, sondern die Menschen auch ihre Handwerkskunst, die Drachen ihre Sprache, und alle gemeinsam ihren Lebenswillen.

Und was sagt Ursula K. Le Guin?

Natürlich muss ein Film nicht 1:1 dem Buch folgen – kann es sicherlich auch gar nicht, da es sich um zwei völlig verschiedene Medien handelt mit völlig verschiedenen Arten des Erzählens. Änderungen sind also vorporgrammiert. Doch Ursula K. Le Guin sagte richtigerweise: “But it is reasonable to expect some fidelity to the characters and general story in a film named for and said to be based on books that have been in print for 40 years.” Leider wurden die Philosophie und die moralische Aussage des Films dennoch wesentlich vereinfacht und haben mit dem Ursprungsmaterial nichts mehr gemein. Ursula K. Le Guins Lösungen eines Konfliktes bestanden nie aus Gewalt, da das viel zu simpel und einschränkend sei (siehe Ein Magier von Erdsee). In Die Chroniken von Erdsee ist das anders, denn da muss Arren lediglich sein Schwert schwingen und die Welt ist gerettet. Dabei hat Le Guin das Dunkel immer als Teil des Wesens begriffen, das nicht so einfach zerstört werden kann – vielmehr muss man lernen damit zu leben. Le Guins diplomatisches Urteil über Goro Miyazakis Film: “It is not my book. It is your movie. It is a good movie.”

Fazit

Wie freudig erregt muss Ursula K. Le Guin wohl gewesen sein, als sie “a Miyazaki fan at once and forever” wurde und Studio Ghibli tatsächlich zusagte, ihr Werk zu adaptieren. Und es tut weh mir vorzustellen, wie Le Guin in der finalen Fassung dann dieses Chaos begutachten musste. Eine Schande, dass das diesem absolut perfekten, gewichtigen Ursprungsmaterial passieren musste – diesem Urgestein der Fantastik. Die Chroniken von Erdsee ist für mich ein langweiliger und irritierender Film, selbst als Buchkenner. Goro Miyazakis Drehbuch macht sich nicht die Mühe, auch nur irgendetwas zufriedenstellend zu erklären – weder die Zusammenhänge, noch die Motivationen der Figuren oder die Auflösungen. Visuell gibt es natürlich Momente voller Schönheit und detaillierter Animation, aber narrativ ist Die Chroniken von Erdsee eine echte Nullnummer.

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Die Chroniken von Erdsee (Anime Kritik): Es hätte so schön werden können (2024)
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Author: Aracelis Kilback

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